KAISER WILHELM BITTE!

Meine Assistentin schiebt mir das Formular zum Unterschreiben hin. Bislang ertrug ich ihre Ausdrucksweise Zähne knirschend. Nach meinem ersten Namibiaaufenthalt riss mir der Geduldsfaden.

„Den mag ich aber gar nicht!“, fauchte ich zurück. Entgeisterung quoll aus ihren Augen…

Die britische Kunstschützin Annie Oakley, die im November 1889 im Rahmen ihrer weltberühmten Wildwest-Show in Berlin einem Freiwilligen die Asche von der Zigarre schoss (sie wusste zunächst nicht, dass es der Kaiser war), hätte einen schlechten Tag haben sollen, schießt es mir durch den Kopf…dann wäre nicht nur Afrika einiges erspart geblieben.

Die meisten deutschstämmigen Namibier sehen das ganz anders. Viele haben in ihren Gaststätten und Restaurants große Konterfeis des Militaristen in antiken Bilderrahmen an die Wand gedübelt - neben kleineren Fotografien der Gefolgsleute. Von links nach rechts Friedrich Meier (mit Schnauzbart), Adolf Weberknecht (am Zapfhahn), Otto Zinshuber (in Uniform nach dem Zapfenstreich), Frau von Lierendorf auf einer Bierkutsche, neben Herrn zu Guttenberg am Zügel.Wem winkt die Dame eigentlich? Daneben eine Soldatenbrigade beim Bau eines Lazaretts, für wen? Wo sind denn die Einheimischen auf den Fotos? Auf einem einzigen Bild säumen sie die Kaiser-Wilhelm-Straße und himmeln den wahren Führer aller Afrikaner und seine deutschen Gefolgsleute an. Der Monarch und seine Untertanen blicken ernst und streng auf das schwarze Fußvolk. Lächeln ziemt sich nicht in einem deutschen Eichenrahmen, schon gar nicht von oben herab.


Auf Afrikaans und voller Verachtung herrschte der Schuhhändler in Swakopmund, ein farbloser Namibier mit Migrationshintergrund, den einheimischen Bankangestellten an, der an einem Samstag morgen den Außenschalter mit zehn Minuten Verspätung öffnete. Der Beschimpfte verzog keine Miene und ignorierte den deutschen Nachbarn. „Unterschrift bitte“, sagte er zum ersten Kunden. Schnaubend zog sich der Händler zurück und fluchte: „Unzivilisiertes Pack!“

„Unterschrift bitte“, sagt meine Angestellte. Sie weiß zwar nichts weiter über Kaiser Wilhelm (muss sie auch nicht in ihrem Job), aber sie weiß, dass sie bei Erwähnung desselben nichts mehr zu lachen hat.


Annie Oakley schrieb dem Kaiser höchstpersönlich nach Ausbruch des ersten Weltkriegs, dass sie ihre Zielsicherheit im Nachhinein bedauere.

(Rebscher 2012/2019)