BUDDHA auf JERSEY

Auf dem Küstenpfad, ganz nahe an steilen, Schwindel erregenden Klippen, die kleine Insel Jersey umrunden, den Wind im Rücken oder Gischt getränkt im Gesicht. Überreste deutscher Bunker am Weg, alle zwei bis drei Kilometer, erinnern daran, dass selbst ein faschistisches Supermonster wie Hitlers Nazireich besiegt werden kann. Aus den Verliesen der grauen Betonklötze glotzte der Tod aufs Meer und bedrohte jeden Fremden, der sich der Küste näherte. Seine entfesselten Schwadronen fielen über Jersey und die noch kleinere Nachbarinsel Guernsey her und schändeten sie. Hasserfüllt zwangen sie Kriegsgefangene aus verschiedenen Ländern zum Bau der Bunker. Wie viele Leben dabei unter den Stiefeln der Nazischergen erstickten, weiß niemand genau. Schon gar nicht die Insulaner, die versuchten –so gut es ging -, sich von den Besatzern fern zu halten, ihr normales Leben weiter zu führen. Dies war äußerst schwierig. Mit Todesangst im Nacken wurden rechtzeitig vor der drohenden Landung der Nazis ganze Schulklassen nach England verschifft. Es tobten keine Kinder mehr durch das heidekrautartige Gestrüpp , das große Teile des Inselinneren bedeckt. Stattdessen zertraten diese selbst ernannten Herrenmenschen Gräser und Pflanzen, fünf endlose Jahre lang. Landsleute, nur eine Generation vor uns geboren.

Wir biegen vom Küstenweg ab und nähern uns einem einsamen Hofgut. In einer Nische der Scheunenwand entdecken wir eine kleine zierliche Figur, aus hellem Stein gemeißelt, ein meditierender Buddha. Ein Fremder, der Frieden ausstrahlt.

„Kommen Sie herein, auf einen Tee! Sie haben den Buddha gesehen, ich erzähle Ihnen, wie er mich gefunden hat.“ Der freundliche alte Mann winkt uns in sein Haus hinein. Dankend nehmen wir an, unsre Kleidung ist durchnässt. „Beim ersten Angriff eines deutschen Kampffliegers auf St. Peter Port, Guernsey, war ich 11 Jahre alt. Ich lebte in der Hauptstadt und konnte mich gerade noch unter einen Schiffsanlegesteg retten. Geduckt hielt ich mir die Ohren zu, der Höllenlärm einer Bombe, die ganz in der Nähe explodierte, die Schreie. Plötzlich war alles vorbei, Grabesstille. Als ich die Augen öffnete, lag der kleine Buddha im feuchten Sand neben mir. Er war zu schwer, um angeschwemmt worden zu sein. Ich bekam nie heraus, woher er kam. Ich drückte ihn zitternd, aber überglücklich an mein Herz. Seitdem begleitet er mich.“

Der alte Mann hatte Tränen in den Augen. „Es gab einige Tote, viele kannte ich. Woher kommen Sie?“

„From Germany.“ „Sie haben keine Schuld,“ sagte der Farmer, der unsere Bestürzung bemerkte. Er goss Tee nach. „Bitte helfen Sie nur mit, dass Ihre Generation und die nächsten nicht vergessen, was geschehen ist.“

(Rebscher 2009/2019)